Das geschärfte Bewusstsein
Freiwilligen-Jahr in Togo - „Ich habe hautnah erlebt, dass die Welt nicht gerecht ist“
Die meisten Reaktionen lauteten so oder so ähnlich: „Wie bitte? Du gehst nach Togo? Wo liegt das überhaupt?“ Ich hatte erzählt, dass ich nach meinem Abitur einen einjährigen, staatlich geförderten weltwärts-Freiwilligendienst in der togolesischen Hauptstadt Lomé absolvieren würde. Noch treffender beschreibt der Begriff Lerndienst mein Jahr. Denn mittlerweile bin ich nicht nur tief in den Alltag einer anderen Kultur eingetaucht und spreche ein paar Brocken der Lokalsprache Ewe, sondern habe auch einige Herausforderungen bewältigt und viel über globale Ungleichheiten gelernt.
Togo ist ein kleines, westafrikanisches Land am Golf von Guinea. Es grenzt im Westen an Ghana, im Osten an Benin und im Norden an Burkina Faso. Neben der Amtssprache Französisch werden dort die Nationalsprachen Ewe und Kabye sowie über 50 weitere Lokalsprachen gesprochen. Von 1884 bis 1914 war Togo eine deutsche Kolonie. Im Stadtbild Lomés finden sich bis heute viele Relikte aus dieser Zeit, etwa stillgelegte Bahnschienen. Nach dem Ersten Weltkrieg stand Togo unter französischer Kolonialherrschaft, bevor das Land 1960 die Unabhängigkeit erlangte.
Die Vorbereitungszeit bis zur Ausreise verging wie im Flug. Es gab jede Menge zu tun: Tropentauglichkeitsuntersuchung, zwei Vorbereitungsseminare, Spendensammeln – auch über den Düsseldorfer Anzeiger – und noch vieles mehr. Mitte August 2024 hieß es schon Kofferpacken und Abschiednehmen. Freudig aufgeregt landete ich in Lomé und war trotz aller Vorbereitung erst einmal ziemlich überwältigt von meiner neuen Lebensrealität.
In meiner Gastfamilie lebte ich zusammen mit vier kleinen Kindern, ihren Eltern und Großeltern. Leise war es selten, dafür war immer etwas los. Um mich in der Großstadt mit 2,2 Millionen Einwohnern fortzubewegen, nahm ich entweder ein Motorradtaxi, bei dem ich den Preis aushandeln musste, oder eines der Sammeltaxis zu einem Festpreis, die allerdings nicht selten abenteuerlich überladen waren. Zum Einkaufen ging ich meistens auf den Markt und versuchte, nicht in den trubeligen Gassen des riesigen Grand Marché * verloren zu gehen. Dieser gehört zu den größten Märkten Westafrikas und ist flächenmäßig fast doppelt so groß wie die Düsseldorfer Altstadt.
Durch die Unterstützung meiner neu gewonnenen Freunde vor Ort lebte ich mich mit der Zeit gut ein und schloss die bunte, lebhafte Stadt als mein neues Zuhause ins Herz. In meiner ersten Einsatzstelle bei einer lokalen Nichtregierungsorganisation (NGO) arbeitete ich mit nationalen Freiwilligen an einem Recyclingprojekt gegen Plastikmüllverschmutzung. Wir klärten zum Beispiel in Schulen über die gesundheitlichen Konsequenzen der Plastikmüllverbrennung auf offener Straße auf. Doch leider verlief das Projekt nicht wie geplant und erhofft. Denn wenige Wochen nach meiner Ankunft stellte die NGO infolge der Auswanderung ihres Präsidenten die meisten Aktivitäten ein.
Ich versuchte, das Projekt fortzuführen oder neue Ansätze zu entwickeln, wurde aber immer wieder nur vertröstet. Die unbefriedigende Arbeitssituation belastete mich so sehr, dass ich zeitweise über einen Abbruch nachdachte. Anstatt jedoch die Situation einfach hinzunehmen oder aufzugeben, suchte ich eigenständig nach einem neuen Einsatzplatz. Tatsächlich schaffte ich es, in das GIZ-Projekt zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung vulnerabler Gruppen (ProEmploi+) zu wechseln. Die GIZ–Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit ist ein Bundesunternehmen und unterstützt die deutsche Bundesregierung in der Kooperation für nachhaltige Entwicklung.
Meine Arbeit dort gefiel mir richtig gut. Ich entwickelte u. a. gemeinsam mit dem Dachverband togolesischer Organisationen für Menschen mit Behinderungen eine Weiterbildung für Unternehmen zum Thema Inklusion. Die spannenden Einblicke in die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit und der kulturelle Perspektivwechsel schärften mein Bewusstsein für globale Ungleichheiten. So erfuhr ich hautnah, dass die Welt nicht gerecht ist und Geburtsort, Hautfarbe etc. maßgeblichen Einfluss auf die eigenen Start- und Entwicklungschancen haben. Denn feste Arbeitsplätze sind in Togo rar und trotz eines zuletzt leichten wirtschaftlichen Wachstums entstehen kaum neue Arbeitsplätze.
Die junge Bevölkerung und das anhaltende Bevölkerungswachstum stellen das Land vor zusätzliche Herausforderungen. Mir wurde unmittelbar bewusst, dass viele junge Menschen in Togo trotz (Hochschul-) Abschlusses kaum berufliche Perspektiven haben, während ich privilegiert hier in Deutschland in einem Land mit einem gut funktionierenden Wirtschafts- und Sozialsystem lebe.
Mittlerweile bin ich zurück in Deutschland und versuche nun, mein Umfeld in meiner Heimat für diese Erkenntnisse zu sensibilisieren. Allerdings: das leckere togolesische Essen – etwa Fufu (gestampfte Yamswurzel) mit Erdnusssoße – fehlt mir fast genauso sehr wie es meine Freunde vor Ort tun. Es war kein einfaches Jahr, aber ich bin dankbar für alle Erfahrungen, die vielen schönen Momente sowie die tollen Menschen, die ich während meines Freiwilligenjahres kennenlernen durfte.
Zudem möchte ich mich auch von ganzem Herzen bei meinem Förderkreis bedanken – insbesondere bei allen, die auch infolge des Artikels im Düsseldorfer Anzeiger im Sommer 2024 gespendet haben – und damit meinen Freiwilligendienst überhaupt erst möglich gemacht haben. Akpé kaka! **
* Grand Marché: ca. 913.000 m2 (ohne Marktflächen der Hochhäuser); Düsseldorfer Altstadt: ca. 470.000 m2
** „Vielen Dank!” auf Ewe