Ferdinand von Schirach Gut und Böse

Das Einzige, was beim Schreiben hilft, seien Zigaretten und Kaffee. Hat Wolf Wondratschek mal gesagt und der muss es ja wissen. Ferdinand von Schirach gibt seinem Autoren-Kollegen jedenfalls Recht.

„Immer ein wenig zu langsam und zu vorsichtig“: Ferdinand von Schirach

Foto: Ferdinand von Schirach/Michael Mann

Im Falle von von Schirachs jüngstem Buch haben es die Glimmstängel sogar in den Titel geschafft: „Kaffee und Zigaretten“ heißt der Band, der Anfang März bei Luchterhand erschien. Darin verwebt der ehemalige Strafverteidiger autobiografische Erzählungen, Aperçus, Notizen und Beobachtungen zu einem erzählerischen Ganzen, in dem sich Privates und Allgemeines berühren, verzahnen und wechselseitig spiegeln. In „Kaffee und Zigaretten“ geht es um prägende Erlebnisse und Begegnungen des Erzählers, um flüchtige Momente des Glücks, um Einsamkeit und Melancholie, um Entwurzelung und die Sehnsucht nach Heimat. Es geht um Kunst und Gesellschaft ebenso wie um die großen Lebensthemen Ferdinand von Schirachs, um merkwürdige Rechtsfälle und Begebenheiten, um die Idee des Rechts und die Würde des Menschen, um die Errungenschaften und das Erbe der Aufklärung, das es zu bewahren gilt, und um das, was den Menschen erst eigentlich zum Menschen macht. In dieser Vielschichtigkeit und Bandbreite der erzählerischen Annäherungen und Themen ist „Kaffee und Zigaretten“ das bislang persönlichste Buch Ferdinand von Schirachs.

Mit eben jenem ist er nun auf Lesetour und macht unter anderem in Düsseldorf und ebenda schon beinahe traditionell im Schauspielhaus Station. Die Veranstaltung am 28. Mai ist ausverkauft, natürlich. Allein an der Abendkasse gebe es eventuell noch ein paar Restkarten, lässt das Theater auf seiner Website wissen.

Als Schriftsteller konnte von Schirach bereits reichlich Lorbeeren einheimsen. Sein Theaterstück „Terror“ zählt zu den weltweit erfolgreichsten Dramen unserer Zeit und steht nach wie vor auf dem Spielplan des Düsseldorfer Schauspielhauses. Mittlerweile haben das Stück an Häusern in aller Welt weit über 500.000 Zuschauer gesehen. Die Erzählbände „Verbrechen“ und „Schuld“ und die Romane „Der Fall Collini“ und „Tabu“ wurden zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern. Sie erschienen in mehr als vierzig Ländern.

Erstaunlich genug, auch weil von Schirach als Autor ein Spätstarter ist. Nach Abitur und Bundeswehr studierte er zunächst Rechtswissenschaften und arbeitete viele Jahre als Strafverteidiger. Als sein erstes Buch erschien, war von Schirach bereits Mitte 40. Warum er so lange gewartet habe mit dem Schreiben, fragte „Die ZEIT“ ihn von einigen Wochen. „Wissen Sie, ich bin immer ein wenig zu langsam und zu vorsichtig“, antwortete der Schriftsteller. Noch immer glaube er, dass morgen früh alles vorbei sei und kein Mensch mehr seine Bücher lesen wolle. Dabei sind seine Fans nun wirklich ebenso zahlreich wie namhaft. Der Spiegel nannte Ferdinand von Schirach einen „großartigen Erzähler“, die New York Times einen „außergewöhnlichen Stilisten“, der Independent verglich ihn mit Kafka und Kleist.

Trotz derartiger Bauchpinseleien neigt von Schirach keinesfalls zur Selbstüberschätzung. Er schreibt einfach weiter, am liebsten übrigens in Cafés. „Cafés sind ideal, dort ist man in der Welt, aber muss nicht an ihr teilnehmen“, sagt er. Für einen Irrtum hält er die Annahme, dass einer, nur weil einer Bücher schreibe, irgendetwas besser wüsste. Was er in dreißig Jahren in seinen beiden Berufen gelernt hat, fasst er wie folgt zusammen: „Der Mensch ist ein ambivalentes Wesen, wir alle sind gut und böse zugleich und ergeben trotzdem ein halbwegs plausibles Ganzes. Und mit unserer Gesellschaft ist es nicht anders. Sie ist nicht homogen, sondern gespalten, vielschichtig und völlig durcheinander. Wir glauben an Gott, Allah, Buddha, an das fliegende Spaghettimonster oder nur an uns selbst. Tatsächlich können wir nie letztgültig wissen, was richtig und was falsch ist, absolute Urteile über die Welt gibt es nicht. Aber, meine verehrten Damen und Herren, könnte nicht genau das es sein, was uns als europäische, als westliche Gesellschaft heute ausmacht: nicht der Konsens, sondern, dass wir den friedlichen Dissens aushalten?“So kann man von Ferdinand von Schirach immer etwas lernen. Von der Existenz des fliegenden Spaghettimonsters hatte die Autorin dieses Beitrags jedenfalls vorher noch nie gehört.

28.5., 19:30 Uhr, Schauspielhaus, Gustaf-Gründgens-Platz 1, Düsseldorf

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