Interview Heinz Rudolf Kunze „Der Wahrheit die Ehre“

Kurz vor seinem 40-jährigen Bühnenjubiläum wird Heinz Rudolf Kunze am 21. Februar 2020 sein aktuelles Album „Der Wahrheit die Ehre“ veröffentlichen. Eine ausgedehnte Tour führt den Rockmusiker, Liedermacher und Autor dann ab April 2020 durch die Republik. In Düsseldorf konzertiert er am 4. Juni im Capitol Theater. Redakteur Sven-André Dreyer sprach mit Heinz Rudolf Kunze über wütenden Sound, digitale Heckenschützen und schier grenzenlose Produktivität.

 Am 4. Juni 2020 mit neuem Album in Düsseldorf zu Gast.

Am 4. Juni 2020 mit neuem Album in Düsseldorf zu Gast.

Foto: Martin Huch

Herr Kunze, ich habe Ihre neue Single „Der Prediger“ als Vorbote Ihres aktuellen Albums gehört. Was ist denn das schon wieder Unglaubliches von Ihnen?

Wie soll ich Ihnen das erklären? Ich habe das Gefühl, dass die Zeit, in der wir leben, voller solcher Typen ist, die mit einem gewissen Fanatismus in den Augen und in der Stimme überall herumlaufen und irgendetwas predigen, was sie für die absolute Wahrheit halten. Wir leben in einer Epoche hysterischer Rechthaberei und des Aneinandervorbeiredens. Jeder meint, die Wahrheit gepachtet zu haben und alle anderen verteufeln und verdammen zu müssen, die sich dieser Meinung nicht anschließen wollen. Insofern ist „Der Prediger“ eine aktuelle Figur im Weichbild unserer Gesellschaft.

Hat die Möglichkeit, sich heute überwiegend digital äußern zu können, mithin etwas damit zu tun?

Heutzutage meint jeder ständig seine doch oft sehr unmaßgebliche Meinung in die Öffentlichkeit bringen zu müssen. Viel zu wenige halten sich an den großartigen Dieter Nuhr, der sagte, dass man in einer Demokratie zwar zu allem eine Meinung haben darf, aber keineswegs haben muss.

Wird das Recht der freien Meinungsäußerung denn überstrapaziert?

Nun, es enthemmt die Menschen unglaublich. Diese Heckenschützenmentalität, aus der sicheren Deckung heraus mit Schmutz um sich zu werfen, ist einfach ekelhaft. Man muss sich heute ein sehr dickes Fell zulegen, wenn man seine Nase in die Öffentlichkeit wagt. Und man muss gewahr sein, was man da alles auszuhalten hat von einer anonymen Masse, die sich einfach gehen lässt in einem Medium, in dem man sich nicht selbst bekennen muss.

Die Pressemitteilung sagt, dass Ihr aktuelles Album Ihr bislang politischstes Album sei. Waren das nicht alle Ihre Alben zuvor auch?

Das sehen die Leute durchaus unterschiedlich. Es gibt den einen und die andere, die mir bestimmte Pop-Erfolge nie verziehen haben und mich mit Judas-Rufen à la Bob Dylan bedenken. Ich sehe es aber so wie Sie: Ich hatte immer einen roten Faden in meiner Arbeit, der sich für die Gesellschaft und Außenwelt interessiert hat. Das neue Album aber ist besonders wütend und besonders deutlich.

Wütenden Sound boten Sie unter anderem auch auf Ihren Alben „Reine Nervensache“ (1981) und „Eine Form von Gewalt“ (1982), schließlich auch auf „Richter-Skala“ aus dem Jahr 1996. Das Publikum verzieh Ihnen das nicht, oder?

Der Sound polarisierte das Publikum sehr. Mancher verzeiht es nicht, mancher feiert es. Auf diese Weise bleibt man immerhin lebendig. Besser krasse als laue Reaktionen. Mit lauen Reaktionen kann man nicht fast vier Jahrzehnte als Berufsmusiker unterwegs sein, wie ich es jetzt bald bin ...

... in einer Branche, die sich in den vergangenen vier Dekaden sehr verändert hat.

Als ich im Januar 1981 meinen ersten Plattenvertrag erhielt, war es eine ganz andere Welt. Es war die hohe Zeit der Neuen Deutschen Welle und auch international hatten die Plattenfirmen die Taschen gestopft voller Geld. Es wurde in der Musikindustrie mit Geld geradezu um sich geschmissen. Ich durfte als Newcomer und als Nobody mit einem Fünfjahresvertrag beginnen, um mich in Ruhe zu entwickeln. Von so etwas können die jungen Kollegen heute nur träumen.

Ist es ein deutsches Phänomen, Künstler auf ein Genre festzulegen und ihnen kaum künstlerische Entwicklung zu gestatten?

Die Kollegen, die immer das gleiche Produkt anbieten, haben es tatsächlich leichter, ja. Es ist schwer in diesem Land, ein Bob Dylan oder ein Neil Young zu sein und sich zu ändern. Es gibt bei der deutschen Mentalität eine gewisse Festgelegtheit, Gemütlichkeit, Trägheit. Man weiß gerne, was man hat. Und, ja, da ist was dran: Veränderungen werden nicht gerne gesehen. Wenn man es, so wie ich, trotzdem wagt, mutet und traut man dem Publikum einiges zu.

Wie werden denn die Vorboten Ihres aktuellen Albums aufgenommen?

Die Leute sind in Feierlaune und ganz gespannt darauf, was wir da machen. Wir werden geradezu überwältigt mit positiven Reaktionen.

Live werden Sie ab April des kommenden Jahres unterwegs sein. Was darf das Publikum erwarten?

Ich leiste mir dank meines Managements um Matthias Winkler eine ziemlich üppige Band. Wir sind acht Leute auf der Bühne, Heiner Lürig wird zudem als unser Gast dabei sein. Und auch Martin Huch, mein alter Pedal-Steel-Gitarrist, wird ebenfalls an Bord sein. Zudem werden eine Chorsängerin und ein Chorsänger mit uns auf Tour gehen, wir können also wirklich aus allen Rohren feuern.

Sie sind unglaublich produktiv, veröffentlichen Alben, arbeiten literarisch, übersetzen Musicals, um nur einige Ihrer Tätigkeiten zu nennen. Ein Ende ist nicht in Sicht, oder?

Nein, ich denke jedenfalls nicht daran. Es gibt wunderbare Vorbilder in der alten Rockgarde, die zehn und mehr Jahre älter sind als ich, und zu denen man immer noch aufschauen kann. Und Dylan werde ich auch noch überholen. Der veröffentlichte immerhin 105 Alben. (lacht)

Sie gestatten mir einen Blick in die Zukunft?

Wir haben noch viel vor, werden unter den gegebenen Möglichkeiten weiterarbeiten und unser Angebot nach wie vor unverdrossen anbieten. Mal gucken, wie lange es den Menschen noch etwas bedeutet. Ende dieses Jahres werde ich 63 Jahre alt und vielleicht irgendwann ein unentbehrlicher Kult. (lacht)

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