Düsseldorfs Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller im Gespräch „Das Verbindende betonen“

Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller über Hetze, Krisen und Solidarität.

Düsseldorfer Stadtoberhaupt Keller - „Krisen schärfen den Blick fürs Wesentliche.“

Foto: Norbert Huettermann

Dr. Stephan Keller (50) ist seit dem 1. November 2020 Oberbürgermeister in Düsseldorf. Er lebt hier, ist gebürtiger Aachener, verheiratet, hat drei Kinder. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie (siehe Kasten), sprach mit ihm über die Wirkung von Krisen, seine Erfahrung mit Hass und Hetze und den Zusammenhalt einer Stadt.

Herr Dr. Keller, was bedeuten Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

„Für mich garantiert die Demokratie wie keine andere Regierungsform, dass die Würde des Menschen - auch von der staatlichen Gewalt - geachtet und geschützt wird. Sie bringt das fragile Spannungsverhältnis zwischen individueller Freiheit und Gleichheit in Balance und tariert es ständig neu aus. Und - das haben wir nach dem zweiten Weltkrieg gelernt - Demokratie ist immer auch ein Garant für Frieden und Wohlstand. Ich bin überzeugt, dass es außer der Demokratie keine Regierungsform gibt, die auf Dauer wirtschaftliche Prosperität garantiert.“

Ihr Parteikollege, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, schreibt in seinem Buch „Grenzerfahrungen“, dass Krisen wichtig für die Politik sind. Stimmen Sie dem zu und wenn ja, sehen Sie sich als einen guten Krisenmanager?

„Dem stimme ich uneingeschränkt zu! Krisen schärfen den Blick für das Wesentliche - auch in der Politik. Sie zeigen auf, was wirklich wichtig ist, legen den Finger in die Wunde. So offenbart die Corona-Pandemie die Stärken und Schwächen unseres föderalen und des politischen Systems insgesamt. Krisen sind häufig auch reinigende Prozesse. In Düsseldorf arbeite ich sehr eng mit dem Leiter des Krisenstabes, unserem Stadtdirektor, zusammen. Eine politische Führungskraft ist dann ein guter Krisenmanager, wenn sie so viel delegiert wie möglich, so viel steuert wie nötig und die richtigen Impulse setzt.“

Apropos Krisen: Globale Herausforderungen wie eben die Pandemie oder der Klimawandel spalten die Gesellschaft zunehmend. Was tun Sie, um die Stadtgesellschaft zusammen zu halten?

„Wir versuchen täglich, das ‚wir’ und damit das Verbindende zu betonen und weniger das Trennende. Wir stärken die Kräfte, die diesem Solidargefühl Halt geben: die Hilfsorganisationen, Religionsgemeinschaften, Sportvereine und sonstige ehrenamtlich tätige Einrichtungen. Eine zentrale Aufgabe für mich ist, offen zu kommunizieren und unsere Entscheidungen transparent und damit nachvollziehbar zu machen. Wir möchten auch bei denjenigen Verständnis wecken, die vielleicht anderer Meinung sind. Ich treffe mich regelmäßig mit Vertretern der von der Corona-Krise besonders betroffenen Branchen und Institutionen. So erfahre ich aus erster Hand, was die Menschen bewegt und habe die Möglichkeit, unsere Politik zu erklären und Entscheidungen transparent zu machen. Das ist mir wichtig!“

Laut aktueller Forsa-Umfrage wurden 57 Prozent der BürgermeisterInnen in Deutschland bereits beleidigt, bedroht oder sogar tätlich angegriffen. Wie erleben Sie Hass und Hetze in Ihrem Amt? Wie gehen Sie damit um?

„Persönliche Anfeindungen gehören tatsächlich mittlerweile zu fast allen öffentlichen Ämtern dazu. Gerade in Coronazeiten sind viele Menschen frustriert, genervt und angespannt, viele haben große gesundheitliche und wirtschaftliche Sorgen, das schlägt sich auch in der allgemeinen Stimmung nieder. Doch der Ton ist insgesamt rauer geworden, gerade in der Anonymität der sozialen Medien. Das ist nicht schön, aber ich komme damit gut zurecht. Allerdings bringen wir aus Prinzip jede Form von Beleidigung oder Bedrohung zur Anzeige, unabhängig davon, ob diese gegen mich persönlich ausgesprochen wird oder gegenüber den Mitarbeitenden der Stadtverwaltung. Denn dieser Entwicklung muss man sich entgegenstellen.“

Verstehen Sie, wenn andere KollegInnen sagen, „das ist mir zu viel, das möchte ich nicht mehr“ und ihr Amt niederlegen?

„Selbstverständlich. Aber das ist immer eine sehr persönliche und individuelle Entscheidung. Ich bin der Meinung, dass man sich auch von unschönen Situationen nicht unterkriegen lassen darf. Denn damit würden wir ein Stück Demokratie preisgeben. Deshalb freue ich mich über alle, die dabeibleiben.“

Herr Dr. Keller, im Oktober ist Heino mit seiner Tour „Heino goes Klassik - Ein deutscher Liederabend“ zu Gast in Düsseldorf. Der Streit um den Untertitel ist beigelegt. Die Frage bleibt: Was darf man in einer Demokratie sagen - was nicht?

„Ich kann an dem Titel ‚Ein deutscher Liederabend’ nichts Nationalistisches erkennen. Davon abgesehen: Wir müssen in der Demokratie ein breites Meinungsspektrum aushalten können. Demokratie kann nicht bedeuten, dass wir nur noch den ‚politischen Mainstream’ tolerieren. Wir müssen auch Meinungen an den Rändern akzeptieren, nicht jedoch über die Ränder hinaus. Ich bin davon überzeugt, dass wir den Gegnern von Demokratie und Freiheit keinen Raum geben dürfen. Aber das, was sich im Rahmen der durch das Grundgesetz garantierten Meinungsfreiheit bewegt, muss man auch sagen können. Rassismus, Antisemitismus, Hass und Hetze dürfen wir hingegen nicht tolerieren. Dafür wollen und werden wir kein Forum bieten.“

In einem BILD-Interview anlässlich Ihrer ersten 100 Tage im Amt sagten Sie, Düsseldorf sei für Sie „rheinisch-global“. Was genau meinen Sie damit?

„Auf der einen Seite leben wir - beispielsweise im Karneval und Schützenwesen - unsere rheinischen Traditionen. Wir haben mit den ‚Düsseldorfer Jonges’ den größten Heimatverein Europas. Düsseldorf ist gelichwohl eine weltoffene, tolerante und internationale Stadt mit Menschen aus über 180 Nationen. Wir sind außerdem internationaler Wirtschaftsstandort, ein beliebtes Ziel für ausländische Direktinvestitionen.“

Zum Abschluss möchten wir noch etwas Persönliches über Sie erfahren: Sie sind Hobby-Rennradfahrer. Wann findet der Grand Départ der Tour de France wieder in Düsseldorf statt? Setzen Sie sich dafür ein?

„Der Grand Départ der Tour de France war sicherlich ein herausragendes Sportereignis für die Stadt. Darüber hinaus war es das Ereignis, durch das ich meine Leidenschaft für das Rennradfahren entdeckt habe, ein echter Gewinn! Dennoch ist die Tour de France derzeit kein Thema für uns. Wir haben für die nächsten Jahre eine Vielzahl anderer großer Sportveranstaltungen im Terminkalender stehen - etwa die „Invictus-Games“ im Jahr 2023. Zudem ist Düsseldorf Austragungsort der Fußball-Europameisterschaft 2024. Gerade haben wir außerdem den Zuschlag für die ‚Universiade 2025’, also die Word University Games, erhalten. Düsseldorf ist eine sportbegeisterte Stadt und wir werden uns nach Kräften bemühen, weitere große Sportevents hier hin zu holen. Das tut Düsseldorf gut.“

Sven Lilienström aus Kaarst bei Düssseldorf gründete 2017 die Initiative „Gesichter der Demokratie“. Mit 100 prominenten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie über eine Million UnterstützerInnen generiert die privat organisierte Initiative zusätzliche mediale Aufmerksamkeit. Mehr unter www.faces-of-democracy.org

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