„Fury“-Gründer Kai Wingenfelder kommt nach Düsseldorf Eine Frage des Stils

Gemeinsam mit seinem sechs Jahre jüngeren Bruder Thorsten gründete Kai Wingenfelder (60) im Jahr 1986 die Band Fury in the Slaughterhouse. Neben überaus erfolgreichen Platzierungen in den deutschen Charts gelang den Musikern aus Hannover auch der internationale Durchbruch.

 Kommt mit seiner Band Wingenfelder im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Acoustic Winter“ am Samstag, 11. Januar 2020, nach Düsseldorf: Kai Wingenfelder.

Kommt mit seiner Band Wingenfelder im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Acoustic Winter“ am Samstag, 11. Januar 2020, nach Düsseldorf: Kai Wingenfelder.

Foto: Wingenfelder

Nach Auflösung der Band 2008 formierte das Brüderpaar mit Wingenfelder 2010 ein neues Musikprojekt, das im Rahmen der Festivalreihe „Acoustic Winter“ am 11. Januar 2020 in Düsseldorf zu hören sein wird. Redakteur Sven-André Dreyer sprach mit Kai Wingenfelder vorab über deutschen Gesang, gefährdete Gesprächskultur und die politischen Verpflichtungen von Rockstars.

Herr Wingenfelder, ich habe Sie das letzte Mal 2017 im Rahmen Ihrer Fury-Geburtstagstour erlebt und im Publikum erwachsene Männer weinen sehen. Ist Ihnen so etwas klar?

Nun, ich weiß, dass es auf der Tour sehr rührende Momente gab. Die Band war recht lange weg und für einige Menschen hat sie so etwas wie den Soundtrack zu ihrem Leben geschrieben. Einige machten Abi, andere heirateten zu unseren Songs. Erst kürzlich erzählte uns unser Manager Holger Hübner die Geschichte eines Mannes, der drei Jahre im Wachkoma lag und dort regelmäßig von seiner Freundin besucht wurde, die - obwohl er nicht sprechen konnte - mit ihm das Lied „Time to wonder“ gesungen hat. Das war das einzige, an das er sich erinnern konnte.

Trägt man schwer an einer solchen Verantwortung?

Ich weiß nicht, ob es eine Verantwortung ist... Wir machen Musik, weil wir das am besten können und weil wir es lieben. Wir sind wahnsinnig glücklich darüber, dass wir Menschen mit unserer Musik erreichen können. Menschen, mit dem was man tut, zu bewegen, ist die Königsdisziplin.

Fällt es Ihnen - insbesondere vor der Erwartungshaltung des Publikums und nach den großen Erfolgen mit Fury - heute schwer für Ihre Band Wingenfelder zu komponieren?

Ich bin - mit einigen, wenigen Ausnahmen - froh, über das, was ich gemacht habe. Es geht aber auch darum, sich zu entwickeln. Wenn ich gedanklich stets auf die vergangenen Erfolge eingehen würde, so würde ich mich eher behindern. Ich möchte heute, im Jahr 2019, einen Song schreiben, den ich aktuell schreiben möchte und nicht stets daran denken, dass er mindestens genau so gut sein muss wie eines der vorausgegangenen Stücke.

Mit Wingenfelder ist musikalisch eine große Wendung eingetreten: Heute singen Sie in ihrer Muttersprache. Erreichen Sie mit Ihren deutschen Texten eine andere Zielgruppe?

Jein. Uns hören sehr viele Menschen, die auch Fury mögen. Wir haben aber auch sehr viele Menschen dazugewonnen, die Fury teilweise gar nicht kannten und denen das, was wir heute machen, sogar besser gefällt.

Hat die Nutzung der deutschen Sprache Auswirkungen auf Ihre Musik?

Eine Auswirkung hat es in jedem Fall, gerade weil es die Muttersprache ist. Im Englischen habe ich allerdings, anders als in der deutschen Sprache, eine große, zusätzliche Möglichkeit: die Melodie. Die englische Sprache ist einfach eine wesentlich melodischere Sprache als die deutsche. Mein Ziel war, die Art meines Gesangs - sehr melodisch aber auch sehr melancholisch - in die deutsche Sprache zu bringen. Dafür muss ich mit der Sprache nun anders umgehen und daran arbeite ich. Der britischen Band Coldplay unterstellt alle Welt, dass sie keine politischen und literarischen Meisterwerke verfasst. Und um nicht missverstanden zu werden: Was sie machen klingt gut und ich mag das, was sie machen, gerne.

Im Gegensatz zu Coldplay: Ich habe gestern Ihre aktuelle Single „Sendeschluss Testbild“ als Vorbote Ihres neuen Albums gehört. Das ist ja mal ein ganz klares politisches Statement.

Das ist ein ganz klares Statement, ja. Wir finden, dass es in Zeiten wie diesen angebracht ist, Flagge zu zeigen.

Sie zitieren darin unter anderem Alexander Gauland und Donald Trump. Bieten Sie damit den rechten digitalen Pöblern nicht unglaublich viel Angriffsfläche?

Ja, natürlich haben wir auch bei Facebook die üblichen Verdächtigen, die Kommentare abgelassen haben. Die habe ich jetzt aber nicht mehr als Freunde. Diese Medien haben Vor-, aber auch Nachteile. Wenn man Dinge klar auf den Tisch bringt, dann muss man damit rechnen, dass es entsprechende Gegenmeinungen in einer Art und Weise, die man verkraften muss, gibt. Das gehört für mich zur Demokratie dazu: Ich möchte das Recht haben, frei meine Meinung äußern zu dürfen, dieses Recht muss ich dann auch allen anderen einräumen. Dennoch: Unsere Facebook- und Instagram-Accounts sind so etwas wie unsere Auslagen. Und ich lasse mir nicht ins Schaufenster scheißen.

Betrachten Sie es als in der Öffentlichkeit stehender Künstler als Ihre Verpflichtung, sich politisch zu äußern?

Ich betrachte es als meine Verpflichtung, mich einzumischen. Wir leben in einem Land, das seit 75 Jahren in Frieden lebt und damit die bislang längste Friedenszeit in der Landesgeschichte erlebt. Das hat offensichtlich leider den Nachteil, dass zwei Generationen nicht mehr wissen, was Krieg bedeutet und wie man sich politisch damit auseinander setzt, diesen Frieden zu erhalten. Also muss es ihnen jemand sagen. Eine Schriftstellerin sagte, dass Künstler das Fieberthermometer einer Gesellschaft seien und ich befinde mich in der Tradition der Künstler, die glauben, dass sie eine Verantwortung haben, Menschen mitzuteilen, dass Demokratie und Freiheit nicht selbstverständlich sind. Dass man sich diese Grundrechte erarbeiten und erhalten muss.

Finden denn noch echte Dialoge statt in einer Zeit, in der sich Menschen mittlerweile auch physisch Luft machen?

Das ist ja das Problem. Wenn sich Menschen physisch Luft machen, dann führen sie keine Dialoge mehr. Das Führen von Dialogen finde ich spannend, auch eine verbale Auseinandersetzung ist spannend. Ich würde mich gerne mit solchen Leuten unterhalten, aber es ist eine Frage des Stils und eine Frage der Art: Wenn diese „Unterhaltung“ aus permanenten Beleidigungen besteht oder aus der permanenten Verneinung von Fakten, dann erscheint es mir sinnlos. Es ist eine der Grundfesten der Demokratie, dass man sich mit Menschen auseinandersetzt, deswegen mochte ich früher auch Bundestagsdebatten gerne. Heute mag ich sie nicht mehr so gerne, weil sie eigentlich nicht mehr stattfinden. Das mag auch daran liegen, dass wir nicht mehr diese Art von Politikern haben, die wir früher einmal hatten. Der Großteil sind für mich Berufspolitiker, bei denen ich befürchte, dass es ihnen mehr um die eigene Karriere als um das Wohl des Volkes geht. Das tut mir sehr weh.

Sehen Sie unsere Gesprächskultur in Gefahr?

Ich sehe unsere gesamte Sprache in Gefahr. Und damit auch die Gesprächskultur. Die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, ist eine seltsame. Ich bin auch kein Freund davon, dass Politiker großer Nationen ihre politischen Statements auf Instagram oder Twitter veröffentlichen. Das ist eine Stillosigkeit sondergleichen. Und es führt nicht dazu, dass man sich politisch auseinandersetzt, sich miteinander unterhält und gemeinsam vernünftige Entscheidungen trifft.

Was dürfen wir von Ihrem aktuellen Album „Sendeschluss Testbild“, das im Mai 2020 erscheinen wird, erwarten?

Wingenfelder wird es im kommenden Jahr bereits zehn Jahre geben. Wir haben deshalb ein Album gemacht, das zehn neue Studiotracks und zehn Livetracks enthält. Ein Geburtstagsalbum also, interessant und weit gefächert. Politisch, aber auch mit Leichtigkeit und einem Liebeslied.

Sie werden am 11. Januar in Düsseldorf rein akustisch spielen. Wird es leise?

Obwohl es rein akustisch ist, bedeutet das nicht, dass es wirklich ruhig wird. Wir hauen mit dem akustischen Quartett schon richtig rein. Diese Form bietet aber auch die Möglichkeit, zwischen den Songs ein bisschen zu erzählen. Es wird also überdies sehr unterhaltsam.

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