Mithu M. Sanyal im Interview Heimat, süße Heimat?

„Eure Heimat ist unser Albtraum“ lautet der Titel eines Buchs, das im Februar dieses Jahres erschienen ist. Darin schreiben 14 Autorinnen und Autoren über ihr Leben in Deutschland. Über Vorurteile, Missverständnisse, über alltäglichen und strukturellen Rassismus. All das kennen sie nicht nur aus der Theorie, sondern vielmehr aus der Praxis, denn alle 14 haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Die Düsseldorferin Mithu M. Sanyal ist eine von ihnen. Wir haben mit ihr über das Buch, den Heimatbegriff und die immer noch obligatorische Frage „Wo kommen Sie denn her“ gesprochen.

 Autorin und Journalistin Mithu M. Sanyal

Autorin und Journalistin Mithu M. Sanyal

Foto: Ja/Regentaucher | Fotografie

Frau Sanyal, was gab den Anstoß für das Buch?

Das war der Moment, als das Bundes-Innenministerium in Ministerium für Inneres, Bau und Heimat umbenannt wurde. Da waren wir, also die Autorinnen und Autoren des Buchs, alle in Schockstarre und uns war klar: Wir müssen jetzt was machen. Ein Buch. Die beiden Herausgeberinnen haben dann angefangen Leute anzuschreiben. Und alle waren sofort dabei.

Der Begriff Heimat wird häufig von der extremen Rechten vereinnahmt. Die NPD begreift sich als „Heimatpartei“, aus dem sogenannten „Thüringer Heimatschutz“ ging die NSU hervor.

Heimat ist nicht nur, aber speziell in Deutschland ein Begriff, der sehr stark mit völkischen Ideen besetzt ist. Doch auch wenn man den Nationalsozialismus einmal ausklammert, hat Deutschland ein Staatsbürgerschaftsgesetz, das es bis in die jüngste Vergangenheit nur möglich gemacht hat Deutsche oder Deutscher zu werden, wenn man als Kind eines deutschen Vaters geboren wurde. Heimat wurde also auch juristisch mit Blut in Verbindung gebracht, mit dem Blutrecht. Nach einem schrittweisen Prozess, der erst 2014 beendet war, dürfen nun auch Menschen, die hier geboren wurden oder hier leben, deutsch werden. Nach dieser Gesetzesänderung gingen sofort die Debatten über Heimat los. Es hieß, dass wir nur Pass-Deutsche seien, weil uns das wirkliche Heimatgefühl fehlen würde. Wenn dann ein Bundesheimatministerium begründet wird, dann hätte ich zumindest eine Debatte über dessen Verständnis von Heimat erwartet.

Der Ausgangspunkt Ihres Beitrags „Zuhause“ ist die Frage „Wo kommen Sie her“. Wann sind Sie zuletzt damit konfrontiert gewesen?

Mit der Frage bist du, wenn du so aussiehst wie ich, ständig konfrontiert. Das letzte Mal ist noch gar nicht lange her. Ich war im Zug unterwegs zu einer Veranstaltung. Da setzte sich eine Frau zu mir. Ihre erste Frage war: „Wo kommen Sie denn her“. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, die Frau war sehr nett… Ich möchte auch gar nicht, dass Leute so tun, als gäbe es meinen Migrationshintergrund nicht. Aber er ist sicherlich nicht die wichtigste Information über mich. Deshalb sollte ihm nicht die erste Frage gelten.

Ich vermute, dass viele, die diese Frage selber nicht gestellt bekommen, gar nicht wissen, was daran so nervt. Können Sie das kurz erklären?

Das Problem an der Frage ist, dass sie auf eine Struktur hinweist. Darauf, dass wir Deutschen ein Ordnungsbedürfnis haben. Was gehört wohin? Was kann deutsch sein und was nicht? Die Vorstellung, dass Deutschsein bedeutet weiß zu sein, ist ein Erbe der Nazis. Bis zum Faschismus war Deutschland ein sehr diverses Land. Ein verhältnismäßig junger Staat, der sich, nehmen wir das Beispiel Ruhrgebiet, immer stark über Migration identifiziert hat. Die Vorstellung, dass alle Deutschen weiß sind und die Gesellschaft relativ homogen, stammt also aus den 1940er- und 1950er-Jahren.

Das Problem an der Frage „Wo kommen Sie her“ ist darüber hinaus, dass viele, die sie stellen, gar nicht daran interessiert sind, etwas über mich und meine Geschichte zu erfahren. Dass sie meine Antwort gar nicht hören möchten, sondern die, die sie im Kopf haben. Wenn ich also antworte, ich käme aus Düsseldorf oder aus Oberbilk, folgt die nächste Frage: „Ja, aber woher kommen sie wirklich“. Die Menschen fragen so lange weiter, bis ich das sage, was sie hören möchten: Indien. Man kann sich in solchen Situationen immer überlegen, ob man in einen Konflikt geht, das Gegenüber also vor den Kopf stößt, oder eben nicht.

Ihr Partner ist Engländer. Wie häufig bekommt er die Frage gestellt?

Nie. Das hat natürlich damit zu tun, dass er weiß ist. Erst wenn er spricht und man seinen Akzent hört, kommt die Frage eventuell. Ich werde also aufgrund meiner Optik als fremder wahrgenommen als er. Dabei kam mein Partner erst im Alter von 20 Jahren nach Deutschland. Ich hingegen bin hier geboren. Als Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters. Nach Polen werde ich übrigens nie gefragt. Deutsch ist meine Muttersprache. Trotzdem sagen mir Leute häufig, wie gut ich deutsch spreche. Da schwingt natürlich immer mit: Du passt hier nicht hin. Du bist irgendwie anders. Es kommt auch schon einmal vor, dass mir People of Color diese Frage stellen. Die tun das allerdings in der Regel nicht mit dem Impetus des Ausgrenzens, sondern mit dem des Verbündens. Da geht es mehr darum: Welche Erfahrungen hast du gemacht? Können wir irgendwo anbinden?

Bei Ihren Beiträgen geht es Ihnen gar nicht so sehr um Alltagsrassismus, den Sie natürlich alle erfahren haben und weiterhin erfahren. Es geht mehr um rassistische Strukturen in Deutschland.

Der Gedanke, dass es strukturellen Rassismus in Deutschland gibt, ist hier fast nicht bekannt. Da fängt man so ziemlich bei Null an. Das ist in England zum Beispiel anders. Da sickern die Debatten, die geführt werden, zu einem Großteil der Bevölkerung durch. Das Grundwissen um die Problematik ist eher da. Die Debatte wird von den Menschen, die „migrantische Wurzeln“, auch so eine schwierige Bezeichnung, haben, vorangetrieben. In Deutschland hat man sich ganz stark mit dem Faschismus auseinandergesetzt, das ist besonders an Deutschland. England hat sich nie damit auseinandergesetzt, dass sie Völkermorde begangen haben. Dass Faschismus aber mit anderen Rassismen verwandt ist, wird dabei hierzulande oft ausgeblendet. Das erste KZ, das Deutschland errichtet hat, war auf den Haifischinseln, in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. 1904 war das. Wir beschäftigen uns nicht genügend mit unserer Kolonialgeschichte. Hier herrscht immer noch das Gefühl: Wir hatten eigentlich gar keine. Wir reden immer noch über das Zeitalter der Entdeckung. Nein. Es war das Zeitalter der Ausbeutung von Kontinenten, der Versklavung und Auslöschung von Menschen. Weiß man hier alles nicht. Spielt auch im Schulunterricht keine Rolle.

Im Klappentext heißt es „Wir sind immer sichtbar.“ Was macht es Ihrer Erfahrung nach mit jemandem, immer sichtbar zu sein, nie in der Masse untertauchen zu können?

Sichtbar zu sein ist in vielen Situationen ein Problem. Bei der Wohnungssuche zum Beispiel, da heißt es dann häufig „Oh Sanyal, das ist aber kein deutscher Name“. Bei der Arbeitssuche ist es ähnlich. Auf die Bewerbung eines Peter kommen 50 eines Mohammed, dazu gibt es Studien. Wenn du sichtbar bist, wirst du häufiger von der Polizei gestoppt, nach Drogen durchsucht. In Geschäften denken Leute eher, dass du klauen könntest. Früher, als ich noch jünger war, habe ich viele Dinge nicht ausprobiert, weil ich das Gefühl hatte, jeder Fehler fällt sofort auf. Im Gegensatz dazu erinnere ich mich noch gut an meinen ersten Besuch in London. Da spürte ich plötzlich ein Gefühl tiefer Erleichterung, weil ich passend war in der Stadt. Ich sah aus wie viele Leute dort aussehen. Was natürlich nicht heißt, dass es in England keinen Rassismus gibt. Es gibt sogar einen sehr offenen Rassismus. Andererseits hat zum Beispiel die BBC Quotierungen. Das heißt, du kennst Menschen mit migrantischen Wurzeln als Intellektuelle. Als Comedians. Aus Film und Fernsehen.

Weiter heißt es im Klappentext: „Wir sind Teil einer Community. (…) Wir werden füreinander da sein, wenn die Mehrheitsgesellschaft zuschaut und nicht eingreift. (…) wenn wir in Gefahr sind, werden wir uns aufeinander verlassen können.“ Das klingt fast wie ein Schwur.

Der Klappentext ist ein Zitat aus dem Text von Sasha Marianna Salzmann. Aber Solidarität ist natürlich ein wichtiger Antrieb gewesen: Wir haben bisher zwei Lesungen mit sämtlichen Autorinnen und Autoren des Buchs gemacht. Da habe ich festgestellt, wie sehr mich die Beiträge und Themen der Anderen berühren. Und umgekehrt war es genauso. Zum Schluss haben wir alle geheult, inklusive Publikum. Das hängt auch damit zusammen, dass es so wenig Bücher in der Art gibt hier in Deutschland. Es gibt ein großes Bedürfnis danach, Erfahrungen miteinander zu teilen, weil das im Alltag kaum möglich ist. Ich selber konnte ganz lange mit niemandem über das Thema reden. Uns fehlt eine Sprache, eine Analyse. Erst in den vergangenen fünf bis zehn Jahren hat sich in dem Bereich etwas getan.

Am 13. Oktober findet in Düsseldorf eine weitere Lesung aus „Unsere Heimat ist euer Albtraum“ statt.

Ja, Nadia Shehadeh und ich lesen ab 17 Uhr im Unterhaus aus dem Buch – für alle, die im zakk nicht rein gekommen sind.

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