Campino im Gespräch „Es wird nie perfekt sein“

Kaum zu glauben, aber wahr: Vor 40 Jahren hat Campino mit ZK seine erste Platte „Tip von Twinky“ veröffentlicht. Auf ihrem neuesten Album „Alles ohne Strom“ spielt seine Band, Die Toten Hosen, ihre Klassiker und ausgefallene Coverversionen im Akustikgewand.

 Die Toten Hosen bei ihrem Unplugged-Auftritt im Juli in der Düsseldorfer Tonhalle.

Die Toten Hosen bei ihrem Unplugged-Auftritt im Juli in der Düsseldorfer Tonhalle.

Foto: Enno Kapitza

Für 2020 ist eine Tour geplant. Beim Interview mit dem Düsseldorfer Anzeiger wirkt Campino alias Andreas Frege (57) sehr energiegeladen. Er trinkt Kräutertee, lässt seine Beine über die Lehne eines Ledersessels baumeln und spricht mit gedämpfter Stimme über seine Lieblingssänger, neue Herausforderungen und seinen Hörsturz.

In der Doku „Weil du nur einmal lebst“ beklagen Sie sich bei Ihren Bandkollegen, dass die Toten Hosen immer schlecht vorbereitet seien und viel mehr proben müssten. Wie lange haben Sie für „Alles ohne Strom“ geprobt?

Sehr intensiv, aber es war wieder nicht genug, weil ich grundsätzlich denke, dass wir mehr hätten tun können. Ich habe mich damit abgefunden, dass es für mich in diesem Leben niemals perfekt sein wird. Als Kinder des Punkrock sind wir es gewohnt, mit unzulänglichen Mitteln rauszugehen und trotzdem die Menschen zu unterhalten. Dennoch bereite ich mich gerne vor.

„Alles ohne Strom“ ist eine Weiterentwicklung des Konzepts Ihres MTV-Unplugged-Albums von 2005. Wie sehr ist die Band an „Nur zu Besuch“ gewachsen?

Dieses Album hat uns die Augen geöffnet. Es lohnt sich, immer wieder in die älteren Lieder einzutauchen, um aus ihnen Neues herauszuholen. Über eine veränderte Dynamik kann man völlig andere Intensitäten herstellen. Ein Text, der bisher von der Musik überschattet wurde, kann plötzlich im Vordergrund stehen, so dass die Hörer auch anders über ihn nachdenken. Wir haben in der Vergangenheit auch viele Konzerte mit Gerhard Polt und den Biermösl Blosn bestritten. Auf der einen Seite die elektrische Krachmacher-Band, auf der anderen die Volksmusiker aus Bayern. Mit der Zeit sind wir immer mehr zusammengewachsen. Diese Erfahrung hat uns ermutigt, weiter in diese Richtung zu gehen.

Wie kam es zu der überraschenden Neufassung von „Hier kommt Alex“?

Durch ausprobieren. ZZ Top war hier die Inspiration. Darüber mussten wir selber lachen. Zunächst habe ich das Lied auf Kölsch gesungen, weil es irgendwie passte. Das fanden die anderen nach einiger Zeit aber nicht mehr so lustig. Diese Spielereien im Proberaum besitzen eine Leichtigkeit, die man bei so einem Projekt eher findet als bei einem Studioalbum mit neuen Songs.

Mögen Sie ZZ Top auch ein bisschen?

Man macht sich schon ein bisschen über sie lustig, aber dann stellt man fest: ZZ Top sind unglaublich wilde Burschen. Mit ihrem Style haben sie eine Marke besetzt. Damit ist ihnen ein fester Platz in der Musikgeschichte sicher. Abgesehen davon amüsieren wir uns gern über die Dinge und nehmen uns selbst nicht so ernst. Deshalb war auch ein Lied wie „Love Is In The Air“ Teil des Sets.

Welche Beziehung haben Sie zu diesem Welthit von John Paul Young?

Als das Lied 1978 rauskam, fanden wir es ätzend. Der Begriff „schleimig“ müsste für sowas erfunden werden. Aber bei einer Punkrockveranstaltung hat es etwas unheimlich Lustiges und Ironisches. Nachdem wir es ein paar Mal gespielt haben, erkannten wir die Leichtigkeit, die es transportiert und gewannen es sogar lieb. Wir hatten eigentlich die Idee, in dem Moment wie Udo Jürgens mit Bademänteln auf die Bühne zu kommen. Leider war das der Anfang einer Zugabe – und nach vier Liedern kamen wir uns in diesen Bademänteln richtig blöd vor, deshalb haben wir sie nach dem ersten Abend für immer im Schrank gelassen.

Sie spielen auch eine akustische Version von Rammsteins „Ohne Dich“. Sie versuchen erst gar nicht, Till Lindemanns Intonation nachzuahmen, sondern legen Ihr ganz eigenes Timbre in die Interpretation. Eine ernst gemeinte Coverversion?

Es ist ein Hutzieher vor den Kollegen von nebenan. Wenn ich versuchen würde, Tills Art nachzumachen, würde ich scheitern. Wir wollten unseren eigenen Style vorsichtig auf diesen Song anwenden. Man kann sich bei Rammstein über vieles streiten, aber über eines nicht: dass sie nicht sorgfältig arbeiten würden.

Sind herausfordernde Projekte wie „Alles ohne Strom“ dazu geeignet, einmal zu schauen, wie man in Würde altert?

Es ist keine Vorbereitung auf unsere Rente. Das wäre die falsche Richtung. Man sollte uns eher mit einer klassischen Balkanband vergleichen, die für alle Gelegenheiten gemietet werden kann. Die Energie darf nicht schlappmachen, nur weil wir die Verstärker weglassen. Die Herausforderung ist, zu beweisen, dass man auch mit dieser Instrumentierung richtig Druck erzeugen kann. Die Rente stelle ich mir so nicht vor. Wir haben durch diese Konstellation zwar auch zusätzliche Musiker gefunden, aber Die Toten Hosen selbst kann man natürlich nicht auf die Ersatzbank setzen. Wir müssen mit den Menschen arbeiten, die da sind. Und die werden mit der Zeit nicht schöner. (lacht) Aber Lebenserfahrung ist ein unterschätztes Gut.

Ist Ihnen der Austausch mit Kollegen wichtig?

Früher waren wir als Punkband sehr auf unsere Szene fokussiert, aber seit ein paar Jahren haben wir viel mehr mit Kollegen in Deutschland zu tun. Das finde ich toll. Wir können uns auf Augenhöhe anrufen, ohne dass der andere sich wundert. Dazu gehören die Antilopen Gang, die Broilers, Marteria, Thees Uhlmann, Kraftklub oder die Beatsteaks.

Der erste Teaser aus dem Akustikalbum ist „1000 gute Gründe (ohne Strom)“, ein Song aus dem Jahr 1988. Hat eine Zeile wie „Wo sind all die guten Gründe, auf dieses Land stolz zu sein“ heute noch Gültigkeit?

Erstaunlicherweise ist der Text nicht verstaubt, was nicht unbedingt für die politische Situation hierzulande spricht. Dadurch, dass wir immer noch ein Problem mit rechtem Gedankengut haben, ist dieser Titel nach wie vor aktuell. Musikalisch gesehen ist der Song auch ein Beispiel für die Energie der Platte.

Bei der letzten Echo-Verleihung im April 2018 haben Sie die als antisemitisch kritisierten Texte der Rapper Kollegah und Farid Bang als Grenzüberschreitung verurteilt. Gehen wir in der Gesellschaft zu lasch mit dem Thema Antisemitismus um?

Wir sind in einer verzwickten Lage. In Deutschland leben heutzutage viele Einwanderer, die ihre eigene und andere Geschichte mit Israel haben als wir. Denen muss man vermitteln, dass sie sich an die Regeln zu halten haben, die in diesem Land gelten und das setzt grundsätzlichen Respekt voreinander voraus. Die Behörden sind teilweise damit überfordert. Aber grundsätzlich muss man jedes Fehlverhalten ahnden, was Angriffe auf andere Religionsgruppen angeht.

Im Frühjahr 2019 diagnostizierten Ärzte bei Ihnen einen Hörsturz. Werden Sie in Zukunft mehr leise Konzerte spielen?

Das hat damit nichts zu tun. Wir haben in diesem Sommer eine ganze Reihe von lauten Konzerten gespielt. Bei mir ist damals stressbedingt eine Sicherung rausgeflogen, weil ich es übertrieben habe. Ich frage mich manchmal, ob ich zu viel von mir abbrenne. Ob es für mich selber auch in Ordnung ist, statt 110 nur 90 Prozent zu geben. Haben die Leute dann trotzdem noch einen guten Abend? Ob ich vor 50 oder 50.000 Zuschauern spiele, ist für mich vom Einsatz her dasselbe. Ein Fußballer geht auch keine halben Wege.

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