Kriegsende Die Retter der Stadt

Düsseldorfer Staatsanwälte prüfen im Januar 1999, ob nationalsozialistische Unrechts-Richtersprüche endlich aufgehoben werden können. Dazu gehören auch die Todesurteile gegen die Männer des 16. April 1945. Diese Düsseldorfer retteten damals die Stadt vor der völligen Zerstörung durch die Alliierten. Wir lassen den einzigen Überlebenden der Aktion zu Wort kommen, den Ehrenbürger Aloys Odenthal (86).

Das Interview erschüttert. Aloys Odenthal entschuldigt sich dafür, daß er immer wieder weinen muß. Abgrundtief verletzt dieser 16. April die Seele des kleinen, zähen und so mutigen Mannes. Noch heute sieht er seine mißhandelten, hingerichteten, im Hof der Berufsschule an der Färberstraße notdürftig unter Schotter-Staub verscharrten Freunde vor sich: Oberstleutnant der Schutzpolizei Franz Jürgens, Theodor Andresen, Karl Kleppe, Josef Knab und Hermann Weill.

Mit ihnen und seinem Freund Dr. August Wiedenhofen treffen Odenthal in den letzten Tagen des zweiten Weltkr iegs die folgenschwere Entscheidung - nachdem die Schutzpolizei vom Polizeipräsidenten, SS-Brigadeführer Korreng, den Auftrag erhält, Düsseldorf bis zur letzten Patrone zu verteidigen. Sie wollen Korreng festsetzen. Das ist Hochverrat. "Sie können sich nicht vorstellen, was das damals bedeutete", sagt Aloys Odenthal. "Ich ließ mich von einem Pater auf den Tod vorbereiten."

Sie verabschiedeten sich von allem, was sie liebten - Frauen, Kinder, Eltern, Heimat. Dann ist es soweit. Sie sperren den Nazi-Polizeipräsidenten in eine Zelle des Präsidiums. Als Odenthal und Wiedenhofen für kurze Zeit das Gebäude verlassen, sehen sie überall in den Fenstern jubelnde Polizisten, die ihr Vorhaben unterstützen. Bei ihrer Rückkehr merkt Odenthal sofort, daß alle Fenster geschlossen sind. "Irgend etwas stimmt da nicht." "Jetzt kriegst Du es doch mit der Angst zu tun", neckt Wiedenhofen seinen schmächtigen Freund. Aber Odenthal setzt sich durch. "Wir können ja wenigstens draußen warten."

Während Aloys Odenthal und Dr. August Wiedenhofen nach draußen schlendern, werden die Tore des Polizeipräsidiums geschlossen. "Wir sind verraten worden, schoß es mir durch den Kopf", erzählt Odenthal. Dem wartenden Fahrer setzt er den Revolver auf die Brust. "Entweder Sie fahren, oder Sie sind eine Leiche." Odenthal und Wiedenhofen flüchten die Ludenberger Straße hoch nach Gerresheim. Sie entlassen den Fahrer. Odenthal warnt seine Familie, "Ihr müßt' untertauchen". Den beiden bleibt nichts übrig, als zu versuchen, sich auf eigene Faust zu den Amerikanern durchzuschlagen, und sie vom Bombardement abzubringen.

Zu Fuß hetzen sie Richtung Hubbelrath - ein großes weißes Bettlaken als Parlamentärsflagge im Gepäck. Bei einem befreundeten Pfarrer verschnaufen sie. "Das schafft Ihr nicht." Überall liegt schwerbewaffnete Wehrmacht. Doch für Wiedenhofen und Odenthal gibt es jetzt kein Zurück mehr. "Er hat uns beide gesegnet", erzählt der Gerresheimer mit zitternder Stimme. Als Patrouillen sie anhalten, schaltet Odenthal am schnellsten. "Ich bin Bauer und mein Freund ist Arzt. Die Kuh kalbt. Wenn wir nicht sofort durchkommen, stirbt die uns auch noch weg."

Zweimal klappt der Trick - dann ist der Weg frei. Aber das Martyrium geht weiter. Bei den Amerikanern glaubt man an eine Falle. "Ihr Deutschen seid alle gleich", werden sie angeschrieen. Die Bestialität der Konzentrationslagern ist gerade offenkundig geworden. Stundenlang hält man sie fest. Sie schreiben eine Petition. Aloys Odenthal schwört beim Bild seiner Schwester, die Nonne ist: "Wir sind keine Nazis." Die US-Offiziere werden nachdenklich. Sie lassen die Gefangenen drei Wege in die Stadt zeichnen. "Ihr fahrt auf den Panzern mit - und wenn etwas faul ist, hat eure letzte Stunde geschlagen." Odenthal schlackert mit beiden Armen, um seine damalige Verfassung zu verdeutlichen. "Wir waren völlig fertig." Er kann gar nicht allein den Panzer besteigen, "zwei schwarze Soldaten hoben mich hoch". Ohne einen Schußwechsel erobern die Allierten die Stadt.

Jetzt sind die braunen Machthaber auf der Flucht. Doch für Odenthal hat die Geschichte kein Happy End. Seine gefaßten Freunde sind bereits tot. "Nachbarn haben mir berichtet, daß man sie beim Schein von Taschenlampen hingemäht hat." Er schluckt, schürzt den Mund, um seine Fassung zurückzugewinnen, seinen Augen füllen sich mit Tränen. - Für seine Kameraden hat er in dieser Woche des Jahres 1999 den Antrag auf Rehabilitierung gestellt. 54 Jahre danach. Nur für Theodor Andresen können Angehörige das selber tun. Mit Halbmast-Beflaggung gedenkt die Stadt heute der Opfer des Nationalsozialismus - erfahren sie bald auch Gerechtigkeit?

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