Das Konzept "Vorausschauender Behandlungsplan" Was bedeutet Ihnen Leben?

Was bedeutet Ihnen Leben? · Wir planen unsere Urlaube. Wir planen Familienfeiern. Selbst Geburtstermine werden oft geplant. Nur beim Sterben sind wir naiv. Selbst dann noch, wenn es ins Pflegeheim geht. Mit einem noch ziemlich neuen Projekt setzt man beim Palliativnetzwerk der Stiftung Evangelisches Krankenhaus dagegen: Mit dem "Vorausschauenden Behandlungsplan".

 Dr. Carla Hennig im Gespräch mit einer Patientin. Sie und das Palliative Care Team-Netzwerk haben gerade den dritten Platz des NRW-Gesundheitspreises mit dem „Vorausschauenden Behandlungsplan“ gewonnen.

Dr. Carla Hennig im Gespräch mit einer Patientin. Sie und das Palliative Care Team-Netzwerk haben gerade den dritten Platz des NRW-Gesundheitspreises mit dem „Vorausschauenden Behandlungsplan“ gewonnen.

Foto: EVK

Die Idee kommt aus den USA. Dr. Jürgen in der Schmitten, Professor für Allgemeinmedizin an der Uni-Klinik Düsseldorf holte die Idee 2009 nach Deutschland und installierte sie im Rahmen eines Pilotprojektes in einer Pflegeeinrichtung in Grevenbroich.

2015 überlegten Dr. med. Carla Hennig, die ärztliche Leiterin des Palliativnetzwerkes der Stiftung EVK, und ihr Team wie die palliative Versorgung in den Pflegeeinrichtungen des EVK verbessert werden könnte. "Wir wollten herausfinden, welche Bedürfnisse und Anforderungen unsere Bewohner überhaupt haben", so Hennig.

Und so wurde Mitte 2015 der "Vorausschauende Behandlungsplan" eingeführt. Dabei werden die Pflegeheim-Bewohner aktiv angesprochen und erhalten Gesprächsangebote. Denn: "Wir möchten sicherstellen, dass unsere Patienten bzw. Bewohner so behandelt werden wie sie das möchten. Selbst dann, wenn sie es selbst nicht mehr sagen können."

Die erste Unterhaltung kann mit dem Gesprächsbetreuer alleine geführt werden. Muss es aber nicht. "Das ist keine einmalige Veranstaltung. Mindestens zwei Gespräche von 60 bis 90 Minuten sollten stattfinden. Und mindestens bei der Hälfte der Dauer des Austausches muss ein Stellvertreter bzw. Angehöriger dabei sein", erklärt Dr. Carla Hennig.

Dabei geht es um viel mehr als medizinische Betreuung. Zunächst wird geklärt, was das Leben für den Einzelnen bedeutet. "Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie ans Sterben denken? Gibt es Dinge, die auf keinen Fall passieren dürfen? Was bedeutet es Ihnen, noch länger zu leben — im Positiven wie im Negativen? Das sind keine einfachen Gespräche, denn es geht viel um Abschied, Trauer und Akzeptanz von Dingen die kommen können oder müssen", so Hennig.

Damit geht der Vorausschauende Behandlungsplan weit über eine normale Patientenverfügung hinaus. Die Angehörigen erhalten eine sehr klare Vorstellung von dem, was der Patient/ Heimbewohner möchte.

Die Gesprächsbegleiter kommen aus dem pflegerisch-sozialen Bereich. Die erweiterte Patientenverfügung, die abschließend dokumentiert wird, soll von einem Arzt unter vier Augen abschließend geprüft werden. Das kann der langjährige Hausarzt oder alternativ ein Palliativ-Doktor machen.

"Bei uns in der Stiftung ist die hauptversorgende Hausärztin mit im Boot. Wir als Palliativ Care Team ergänzen mit mir als 2. Doktor", erklärt Hennig.
Seit Anfang des Jahres hat auch der Gesetzgeber die Weichen für den Vorausschauenden Behandlungsplan gestellt.

Allerdings: "Im Gesetz festgeschrieben ist nur, dass die Stelle des Gesprächsbegleiters refinanziert wird." Dabei sei wesentlich mehr nötig: Ausbildung, Projekt-Koordination und Transparenz bei der Dokumentation. Denn der Vorausschauende Behandlungsplan mache nur Sinn, wenn Pflegepersonal, behandelnde Ärzte, Rettungsdienst und Krankenhaus über den Patientenwunsch Bescheid wissen.

"Es wird in Düsseldorf sicherlich noch zehn Jahre dauern, bis man ein solches Angebot auf dem freien Markt haben kann", sagt Barbara Krug vom Palliativ Care Team. "Wir fangen jetzt erst einmal in den Pflegeheimen an, weil das greifbarer ist."

Das Angebot des PCT: "Wir können die Ausbildung der Gesprächsberater übernehmen. Die Pflegeheime müssen sich dazu entschließen, Mitarbeiter dafür frei zu stellen", sagt Krug. Dann fehlt aber immer noch jemand für die Koordination. "Wir suchen jetzt Häuser, die wie das EVK diesem Projekt folgen, das ja bereits erprobt ist." Es gebe auch Einrichtungen, die anders vorgehen, weil sie eine andere Vorstellung vom Vorausschauenden Behandlungsplan haben. Im EVK hält man sich an das Konzept von Prof. Dr. Jürgen in der Schmitten.

Wie komplex das Thema in der Praxis ist, zeigen die Zahlen, die Dr. Carla Hennig aufzeigt: "25 Prozent aller Pflegebewohner möchten rein palliative medizinische Maßnahmen haben. 10 Prozent möchten wiederbelebt werden. Und der Rest möchte etwas dazwischen."

Übrigens: Wer sich für den Vorausschauenden Behandlungsplan entscheidet, kann seine Meinung auch jederzeit ändern. "Egal für welche Patientenverfügung man sich entscheidet, sie bindet nur die Behandler, nicht den Patienten", so Hennig.

"Wichtig", sagt sie, "ist aber auch für alle, die auf eine Patientenverfügung verzichten: Auch das ist eine Entscheidung! Wenn ich keine Therapie-Begrenzung schriftlich fixiere, dann heißt das für den Arzt der kommt: alles machen."

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